WM-Quali beim Ironman 70.3 Pescara
Tag 1: Anreise nach Pescara
07. Juni 2018. Mein Tag beginnt um 5 Uhr morgens. Ich laufe mit meiner Scicon-Radbox, einem Handgepäck-Koffer und der Notebook-Tasche zum Bahnhof. Dort angekommen folgt gleich die große Ernüchterung: Mein Zug ist 40 Minuten verspätet. Das würde bedeuten, dass ich den wichtigen Anschluss in München verpasse! Zum Glück sehe ich rechtzeitig, dass fast zeitgleich ein Regionalzug nach Nürnberg fährt, wo man einen anderen ICE nach München erwischen könnte. Schnell das Gleis wechseln und rein dort. Der anschließende Umstieg in Nürnberg klappt zum Glück, doch der ICE nach München ist völlig überfüllt (inklusive meines Gepäcks erst recht). Aber egal, dann sitze ich eben auf dem Fußboden. Gerade rechtzeitig komme ich in München an und schaffe den Anschluss zum Eurocity nach Bologna.
Insgesamt dauert die vergleichsweise entspannte Fahrt dahin etwa 8 Stunden. Die Zeit kann ich gut zum Arbeiten am Notebook nutzen. Anders als im ICE muss man für die Radkiste allerdings ein extra Ticket lösen, obwohl es ganz eindeutig ein Gepäckstück und kein zusammengebautes Fahrrad ist. Aber egal, die Diskussion mit dem Schaffner ist ohnehin zwecklos. Mit etwas Verspätung komme ich in Bologna an und erwische auch hier gerade noch den Zug nach Pescara, der leider sehr voll ist, sodass meine Radkiste wieder mal etwas im Weg steht.
Ziemlich erschöpft von 14 Stunden Reise komme ich in Pescara an und frage mich durch, welchen Bus man zur Unterkunft nehmen muss. Diese liegt etwas außerhalb von Pescara, entpuppt sich aber als günstiger Geheimtipp!
2. Tag: Startunterlagen abholen
Heute erstmal ausschlafen. Anschließend gibt es Frühstück, was für italienische Verhältnisse (meist gibt es dort nur Süßkram) sehr gut ist: Rührei, Toast, Käse und Schinken, Joghurt und etwas Obst. Eine kleine Kuchenauswahl dann als Dessert. Die Gastgeberin Marisa und ihr Mann sind super nett. Einziges Manko: Sie sprechen nahezu kein Englisch. Vor allem mit Marisa muss ich teilweise über Google Translate kommunizieren.
Nach dem Frühstück jogge ich locker zum Checkin nach Pescara und hole die Startunterlagen ab. Beim kurzen Schlendern über die Expo fällt mir auf, dass es inzwischen sogar Ironman-Geschirrtücher gibt. Die Kreativität beim Verkaufen von unnützem Zeug kennt scheinbar keine Grenzen. Ich schaue kurz zum Strand, wo heute ein ordentlicher Wind weht und einige Wellen reinkommen. Das wäre am Tag des Rennens nicht gerade optimal.
Dann beginnt es etwas zu regnen und ich jogge zur Unterkunft zurück. Dort angekommen wird erstmal bei Lidl Proviant für die nächsten Tage gekauft. Nachmittags gibt es dann ein ordentliches Gewitter, bei dem es riesige Hagelkörner runterhaut. Später kommt die Sonne wieder raus und ich kann auf dem Balkon in aller Ruhe das Zeitfahrrad zusammenbauen. Dabei stelle ich mich anfangs etwas blöd an und denke, einen Defekt am Hinterrad zu haben, was sich aber zum Glück doch nicht bestätigt (sorry Thomas für die sinnlosen „was ist kaputt“ Nachrichten auf WhatsApp).
Abends geht’s dann mit dem Bus nach Pescara zum Welcome Buffet. Hier treffe ich Lucy aus Schottland und Ron aus Neuseeland (der momentan in Saudi Arabien wohnt). Ein unterhaltsamer Abend mit etwas zu lauter Musik und etwas zu viel Ironman-Torte am Ende.
3. Tag: Testschwimmen
Heute geht es etwas zeitiger aus dem Bett (danke dafür auch an die penetrante Mücke im Zimmer). Nach dem Frühstück fahre ich mit dem Bus nach Pescara zur Wettkampfbesprechung. Dort treffe ich wieder Lucy und Ron, mit denen ich anschließend gleich zum Testschwimmen gehe. Interessant ist dabei, dass das Wasser die ersten etwa 100 Meter teilweise so flach ist, dass man mit Hechtsprüngen schneller voran kommt als mit Schwimmen. Das plane ich schonmal für das Rennen morgen ein. Zurück an Land fühle ich mich bei Rufen zwischen anderen Athleten ein paarmal angesprochen, da hier ungefähr jeder dritte „Marco“ heißt. Auch mal eine lustige Erfahrung mit meinem (fast) typisch italienischen Namen.
Zurück in der Unterkunft versuche ich, die schnellen Rennreifen (Specialized Turbo Cotton) sowie die Latex-Schläuche (führen zu geringerem Rollwiderstand) zu montieren. Leider fehlen dazu aber die Ventilverlängerungen, sodass die Sache mit den Latex-Schläuchen gestrichen werden muss. Tja, habe eben mal wieder nicht mitgedacht…
Nachmittags checken Nils (ein Ami, der in Italien lebt) und seine Freundin im Zimmer neben mir ein. Er wird morgen auch am Rennen teilnehmen. Nach etwas Small Talk setze ich mich mit allen Wechselbeuteln aufs Rad und fahre nach Pescara, um vor Ort alles für das Rennen vorzubereiten. Vor dem Rad-Checkin pumpe ich noch am Service-Stand die Reifen auf und treffe dabei Martin und Kirsten von den Triabolos aus Hamburg, mit denen ich mich gleich gut verstehe.
Dann ist alles erledigt. Ich nehme den Bus zurück und gönne mir abends eine ordentliche Pizza im Restaurant um die Ecke. Auch dort stelle ich wieder mal fest, dass fast keiner Englisch spricht, obwohl es hier durchaus eine Touristenregion ist. Scheinbar machen aber überwiegend Leute aus Italiens Norden hier Urlaub und weniger ausländische Gäste. Dennoch ist es seltsam und ich denke mir, dass sich dieses Problem in Europa lösen muss. Wir haben eine gemeinsame Währung, aber keine gemeinsame Sprache.
4. Tag: Wettkampf
Ich bin bei Wettkämpfen inzwischen überhaupt nicht mehr aufgeregt. Statt wie früher schon nachts zweimal vor dem Wecker aufzuwachen und zu denken, es verschlafen zu haben, bin ich fast verärgert, als mich der Alarmton um 6 Uhr aus meinen Träumen reißt. Ich esse ein kleines Frühstück, schnappe meine Tasche mit dem Neo und gehe zur Bushaltestelle vor dem Haus. Allerdings kommt kein Bus. Ich überlege und stelle fest, dass heute Sonntag ist. Wer weiß, ob und wann hier ein Bus kommt?
Bis zum Start sind es etwa 4 km. Theoretisch zu Fuß machbar, also laufe ich mal lieber los. Unterwegs halte ich den Daumen raus, um vielleicht per Anhalter mitfahren zu können. Und tatsächlich hält nach etwa einem Drittel des Weges ein freundlicher Italiener an, der mich ein gutes Stück mitnimmt. Wir können uns nur kaum unterhalten, da er (natürlich) kein Englisch spricht.
Obwohl ich seit dem Ironman Hawaii im Jahr 2016 keinen Triathlon mehr gemacht habe, ist bei den Abläufen bis zum Start immer noch alles Routine: Gel-Flasche ans Rad, Reifendruck checken, Wechselbeutel überprüfen, Sonnencreme auftragen, Neo anziehen, After-Race-Beutel abgeben und ab an den Strand. Dort reihe ich mich am Ende der schnellsten Startgruppe ein. Es wird einen Rolling Start geben, bei dem alle paar Sekunden einige Starter über die Zeitnahme-Matte gehen. Das vermeidet den großen Tumult eines Massenstarts. Der Nachteil allerdings: Die Teilnehmer der langsamen Startgruppen stehen mit Neo relativ lange in der bereits recht hohen Hitze am Strand und schwitzen sich zu Tode. Man hätte heute bei fast 24 Grad Wassertemperatur durchaus ein Neo-Verbot aussprechen können (auch wenn es für mich persönlich ohne Neo immer ein Nachteil ist).
Bereits als einer der letzten Starter der schnellsten Gruppe schwitze ich ordentlich, bevor es endlich ins Wasser geht. Wie geplant mache ich die Hechtsprünge im flachen Wasser und kann auch den Rest der Schwimmstrecke recht geradlinig absolvieren, was in manchen Rennen auch schon schwieriger war. Hier war das Orientierungsschwimmen am Vortag sehr hilfreich. Nach dem Schwimmen geht es zunächst per Fuß etwa 500 Meter bis zum Rad, was mir genügend Zeit gibt, den Neo halb abzustreifen und den darunter bis zur Hüfte gezogenen Einteiler komplett anzuziehen.
Der Wechsel klappt reibungslos. Allerdings muss ich gleich nach dem Losfahren wegen eines Problems anhalten und vom Rad absteigen, was etwa 3 Minuten kostet. Sehr ärgerlich, aber unvermeidbar. Den Rest der Radstrecke kann ich wie geplant absolvieren und werde von keinem anderen Teilnehmer mehr überholt. Es geht drei relativ flache Runden entlang des Highway und zurück in die Stadt. In der zweiten Runde habe ich Glück, einen Fast-Sturz wegen einer verdeckten Bodenwelle noch abfangen zu können. Etwas nervig ist aber in jeder Runde ein Teil der Strecke in Pescara, auf dem man nicht überholen und nicht in Aero-Position fahren darf. Angesichts eines Startgelds von rund 300 Euro hätte man vielleicht nicht unbedingt einen kostensparenden 3-Runden-Kurs festlegen sollen, auf dem es unweigerlich auch Überhol- und Windschattenprobleme gibt.
Der Wechsel zum Laufen klappt problemlos, alle Abläufe sind „einprogrammiert“. Ich gehe vom Gefühl her relativ locker an, aber sehe auf der Uhr, dass das Tempo nur knapp über 4 min/km liegt. Es ist sehr heiß und ich weiß, dass es unter diesen Bedingungen mehr auf Konstanz als auf maximales Tempo ankommt. Daher laufe ich die erste Runde halbwegs kontrolliert und etwas unter meinem Limit, um Reserven für die zweite Runde zu haben. Eine gute Idee, wie sich zeigt, denn auf der zweiten Hälfte fühlt sich das Ganze schon deutlich härter an. Große Teile der Strecke verlaufen in der prallen Mittagssonne. Ich kann die Pace mithilfe von viel Wasser (in den Mund und über den Kopf) und meiner Gel-Taktik ganz gut halten, während viele andere heute ziemliche Schwierigkeiten haben.
Der Zieleinlauf ist dann wie bei jedem Rennen eine Erlösung. Als erstes gibt es eine schöne Ladung Eiswasser über den Kopf, was sich wie der Himmel auf Erden anfühlt. Ich unterhalte mich kurz mit Umberto, mit dem ich den letzten Laufkilometer bestritten habe, springe kurz ins Meer und suche dann nach Schatten. Die vom Neo aufgeriebenen Stellen im Nacken und der Sonnenbrand an dieser Stelle schmerzen schon jetzt ordentlich. Auch die Arme sehen recht rot aus, da die Sonnencreme vom Morgen natürlich nicht so lange gehalten hat.
Da es bis zum Bike-Checkout noch dauert, gönne ich mir erstmal eine Massage. Dann sitze ich noch eine ganze Weile nahe der Zielverpflegung herum. Ein Athlet, mit dem ich spreche, ist aus Moskau für das Rennen hier angereist (mit dem Auto, verrückt!). Später höre ich, wie eine Frau auf der Massage-Bank plötzlich schreit. Da hat der Physio wohl etwas zu fest zugedrückt. Auch bei mir war es teilweise an der Schmerzgrenze und ich hatte ihm gesagt, dass er ein bisschen aufpassen sollte. Tatsächlich wurde die Frau dann von den Sanitätern auf der Trage abtransportiert!
Um 16 Uhr hole ich das Rad ab und fahre zur Unterkunft, um zu duschen und alles zum Trocknen aufzuhängen. Wenig später geht es dann wieder mit dem Rad in die Stadt zur Vergabe der Startplätze für die Ironman 70.3 WM in Südafrika. Ich hatte heute den 13. Gesamtplatz und den 5. Platz in meiner Altersklasse erreicht, was ein direktes Ticket für die WM bedeutet. Bei der Vergabe treffe ich auch Martin, Kirsten, Lucy und Umberto. Kirsten und Umberto haben sich ebenfalls qualifiziert, wir werden uns dann Anfang September in Port Elizabeth wiedersehen.
5. Tag: Abreise
Nach einer recht erholsamen Nacht checke ich morgens aus und nehme den Bus nach Pescara. Dort warte ich auf den Flixbus (die Dinger fahren inzwischen echt überall) nach Rom. An der Haltestelle treffe ich Sergey und seine Freundin aus Moskau. Sergey hat ein verletztes Knie und humpelt stark. Als ich ihn frage, warum und wieso, gibt er zu, dass er während des Wettkampfs Schmerzmittel genommen hat und auch nach dem Rennen nicht beim Sanitäter war. Nicht gerade empfehlenswert!
Während der Fahrt nach Rom gibt es schöne Landschaften zu bestaunen. Hier in den Bergen würden sich ein paar schöne Trail-Läufe anbieten. Ich quatsche mit meinem Sitznachbarn Luca aus Rom, der ausnahmsweise mal gut Englisch spricht (er arbeitet in London). Gegen Mittag kommt der Bus in Rom Tiburtina an, von wo aus ich weiter zum Hauptbahnhof Roma Centrale muss. Mir fehlt hier etwas die Orientierung, aber zum Glück treffe ich einen ortskundigen Ami, der das gleiche Ziel hat.
Im Stadtzentrum treffe ich zufällig nochmal Lucy. Da sie erst morgen abreist und heute Zeit für Sightseeing in der Stadt hat, begleitet sie mich bis zum Bibbo Luggage Storage, wo ich (endlich) meine Radkiste bis Freitag los werde. Denn statt nach Hause geht es erstmal für 3 Tage nach Dublin auf eine Fintech-Konferenz. Aber natürlich ohne die Radkiste, die ein ziemlicher Klotz am Bein ist. Danach geht es zurück nach Rom, wo ich einen Tag Zeit für eine große Sightseeing-Runde habe, bevor mein Flug zurück nach Nürnberg geht. Zum Abschluss der Reise handle ich mir dann irgendwo noch eine Erkältung ein, die mich erstmal ein paar Tage aus dem Trainings-Alltag wirft.