Radtour nach Auerswalde

5. Juli 2016
Radtour Würzburg Auerswalde Strecke
Quelle: Polar Personal Trainer

 

Die Vorgeschichte

Es war eigentlich nur eine verrückte Idee. Aber manchmal sind die verrückten Ideen eben die besten.

Im Jahr 2009 bin ich nach dem Studium von Chemnitz nach Würzburg gezogen. Nun war mein Heimatort Auerswalde nicht mehr 10, sondern 300 Kilometer entfernt. Wenn also Besuche bei meinen Eltern anstanden, dann mit dem Auto oder Zug. Eigentlich logisch, oder?

Im Jahr 2010 hatte ich mein erstes Rennrad gekauft. Ein Jahr später war ich halbwegs fit und dachte zum ersten Mal an die absurde Idee, dass man (rein theoretisch) auch mit dem Rad von Würzburg nach Auerswalde fahren könnte. Kurzerhand testete ich die Strecke zunächst mit dem Auto. Normalerweise braucht man rund 3 Stunden auf dem direkten Weg über die Autobahn, aber inklusive Routing-Problemen und Umleitungen dauerte es über die Landstraßen viel länger! Soweit ich mich erinnere waren wir (meine damalige Freundin musste es mit ertragen) am Ende 6 oder 7 Stunden unterwegs und völlig entnervt und müde von der ewigen Fahrerei.

Das vorläufige Fazit damals: Mit dem Fahrrad an einem Tag unmöglich! An 2 Tagen wäre es aber machbar mit Übernachtung irgendwo auf halber Strecke zum Beispiel in Kulmbach. Und so geriet die Idee zunächst wieder in Vergessenheit. Oder besser gesagt wurde das Ganze auf unbestimmte Zeit verschoben. Im Jahr 2012 folgte meine erste Teilnahme an der 300-Kilometer-Tour der RSG Würzburg. Mit dem Ergebnis, dass ich beinahe tot vom Rad gefallen bin – und das trotz ständigen Windschattenfahrens. Keine Chance also, eine solche Strecke an einem Tag allein im Wind zu fahren und noch dazu mit den vielen Höhenmetern bis nach Sachsen…

Doch im Jahr 2014 lebte die Idee ganz unerwartet wieder auf. Ich traf einen Triathleten in Würzburg, der auch Familie in der Nähe von Auerswalde hat (in Rochlitz). Wir hatten vor, die Tour zu einem für uns beide passenden Termin zusammen zu fahren, was es durch den Windschatten insgesamt auch etwas einfacher macht. Doch leider ist daraus nie etwas geworden. Bei manchen Plänen sind zwei Leute eben einer zu viel.

Dann folgten meine großen Radtouren an der US-Westküste und in Neuseeland. Und damit das Selbstvertrauen, tatsächlich auch sehr lange Strecken fahren zu können. Ich schaffte dort zum Teil mehr als 200 Kilometer am Tag über hügeliges Gelände, ohne mich im Vorfeld besonders intensiv vorbereitet zu haben. Die Etappe nach Auerswalde würde ich im Vergleich dazu gut ausgeruht angehen, also warum eigentlich nicht?!

 

Jetzt aber endlich!

Wir schreiben den 2. Juli 2016. Zwar ist meine Radform nicht gerade optimal, da ich seit dem Ironman Südafrika im April gerade mal 2 Radtouren gefahren bin. Aber die Grundlagenausdauer sollte passen, sodass es wohl irgendwie zu schaffen sein müsste. Meine Sorge ist eher, dass es wegen des Rucksacks auf Dauer ziemliche Rückenschmerzen geben könnte. Oder, dass es vielleicht einen Defekt oder ein Unwetter gibt und ich abbrechen muss. Aber was soll‘s. Unwägbarkeiten wird es immer geben. Es wird Zeit, mal wieder etwas Verrücktes zu machen.

Nach einer kurzen Nacht stehe ich sehr früh auf und fahre um 05:05 Uhr los. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen und es wird gerade erst langsam hell. Der Himmel ist locker bewölkt, die Temperatur optimal. Es sieht gut aus. Die ersten Kilometer durch die Stadt sind angenehm. Fast keine Autos. Statt dessen sind noch ein paar Betrunkene von der Party-Nacht unterwegs. Ich fahre den Berg hoch nach Gerbrunn und weiter nach Rottendorf. Unterwegs erschrecke ich ein paar Feldhasen, die wohl nicht mit Frühaufstehern gerechnet hatten. Es geht nach Dettelbach und auf der Bundesstraße Richtung Bamberg. Die Sonne kommt raus. Die Vögel zwitschern, immer wieder Tiere auf den Wiesen neben der Straße, das Fahren macht Spaß!

 

Vom Regen in die Traufe

Auf halber Strecke nach Bamberg der erste Zwangs-Stopp. Ein plötzlicher heftiger Regenschauer. Ich halte an einer Tankstelle und esse die ersten 3 meiner 10 Bananen, die ich dabei habe. Nach 5 Minuten ist der Regen vorbei. Ich fahre weiter und wenig später ist auch die Straße wieder trocken. Doch etwa 10 Kilometer vor Bamberg holen mich die Wolken erneut ein. Ich hatte schon einige Male nach hinten geschaut und befürchtet, dass es heute noch nass werden könnte. Und das wurde es. Diesmal war es leider kein kurzer Schauer und es gab auch keine gute Gelegenheit zum Unterstellen. Also was soll‘s, einfach weiter. Im Bamberg komme ich schön durchgeweicht an und mache eine Pause, da der Regen sintflutartig wird. Noch nichtmal 100 Kilometer geschafft. Und der Himmel sieht alles andere als gut aus…

Der Regen lässt etwas nach und ich entscheide mich, weiter zu fahren. Ganz so einfach gebe ich nicht auf. Als nächstes heißt es, so gut wie möglich durch das Industriegebiet im Norden von Bamberg zu navigieren, aber letztlich gibt es neben der für Radfahrer verbotenen Bundesstraße nur einen Feldweg aus der Stadt heraus. Dann nochmal eine Buckelpiste durch die Baustelle bei Zapfendorf (aber besser als die Umleitung) und weiter Richtung Nordosten.

 

Erst Glück, dann Pech

Dann wird endlich alles besser. Der Regen hört auf, die Straße wird trocken und es gibt leichten Rückenwind. Unterwegs überhole ich einen Radfahrer, der auf dem Radweg fährt (ich bin auf der Straße). Er sieht mich, lacht und zieht das Tempo an. Ich überlege kurz, ob ich ihn gewinnen lasse, da er mit dem Stadtrad keine Chance hat, entscheide mich aber für einen ordentlichen Antritt. Ein kurzes Sprint-Intervall schadet ja nie.

Kurz darauf holt mich das Pech ein: Platten am Hinterrad. Da mich einige Autofahrer angehupt hatten, war ich auf den Radweg gewechselt. Ein Fehler, denn dort liegen jede Menge Dreck und Glasscherben herum. Nie wieder Radweg (sage ich nicht zum ersten Mal). Beim Schlauchwechsel werden meine Hände ordentlich schwarz vom Kettenfett und dem generellen Dreck am Rad, das ich seit Ewigkeiten nicht geputzt habe. Egal. Zehn Minuten später geht es weiter.

Ich fahre über Bad Staffelstein und Lichtenfels nach Kronach. Dort halte ich an einer Erdbeer-Verkaufsbude, futtere eine schöne 500-Gramm-Packung und quatsche mit dem Verkäufer. Der hat einen wahnsinnigen Dialekt und redet sehr schnell, was ihn aber nicht daran hindert, mir seine halbe Lebensgeschichte zu erzählen. Das erlebt man auch nicht alle Tage. Noch schnell 2 Bananen und einen Riegel essen und weiter geht‘s.

 

Es wird hügelig

Nun führen die Straßen erstmal ordentlich bergauf. Alles sehr abgelegen, aber landschaftlich ein schönes Teilstück. Und das Wetter wird besser – es ist bewölkt mit leichtem Rückenwind. Allerdings fühle ich mich jetzt zum ersten Mal etwas müde und erschöpft. Also Pause in Bad Steben für Kaffee und Apfelstrudel. Und natürlich wieder Bananen und Fruchtriegel. Ich hab das Zeug schließlich nicht umsonst mitgeschleppt. Wie schon zweimal zuvor höre ich auch hier wieder den Kommentar eines Fußgängers: „Sie haben sich aber heute nicht das beste Wetter ausgesucht“. Naja, um ehrlich zu sein könnte es durchaus noch schlimmer sein. Aber wer weiß, was noch kommt…

Das nächste Stück fahre ich etwas anders als geplant. Über Gefell, Syrau und Elsterberg geht es nach Greiz. Unterwegs sehe ich wieder viele Tiere: Einen großen Greifvogel, Schafe und ein paar Rehe, die ich wohl aufgeschreckt habe. Scheinbar haben viele Tiere mehr Angst vor den Radfahr-Geräuschen als vor dem gewohnten Brummen der Trucks und Autos.

In Reudnitz mache ich die nächste Pause. Diesmal gibt es etwa 15 Trockenpflaumen, 3 Riegel und meine letzten 3 Bananen. Zum Glück die letzten. Denn so langsam kann ich das Zeug nicht mehr sehen. Beim Weiterfahren stelle ich fest, dass es wieder zu regnen beginnt. Aber egal, es ist nun sowieso viel zu spät zum Umdrehen. Und es ist ja nur Wasser.

 

Wolkenbruch

Doch leider wird das Wetter immer schlechter. Mit jedem Kilometer Richtung Zwickau schüttet es mehr. Als ich in die Stadt fahre, sind die Straßen praktisch überschwemmt – und ich schon lange komplett durchgeweicht. Es regnet so stark, dass ich schon aus Sicherheitsgründen eine Zwangspause einlegen muss. Zwar bin ich mit dem neongelben Regenüberzug am Rucksack für Autofahrer gut zu sehen, aber bei diesem Wolkenbruch möchte ich mich lieber nicht darauf verlassen. Hinzu kommt die Sturzgefahr durch die schieren Wassermassen, die auch gefährliche Schlaglöcher verdecken.

Ich halte bei einem Supermarkt und setze mich dort beim Bäcker zum Aufwärmen rein. Zum Glück habe ich wie immer die Regenjacke dabei, um nicht weiter auszukühlen. Die Bäckersfrau hat mangels Kundschaft wohl Langweile und erzählt mir etwa eine Stunde lang ihre halbe Lebensgeschichte. Währenddessen ziehe ich mir einen großen Kaffee, 3 Brötchen und einen Viertel Marmorkuchen rein. Zwischendurch fragt sie, wo ich denn herkomme. Würzburg? Heute?!

 

Abwärtstrend intakt

Langsam lässt der Regen nach. Ich muss weiter. Die Hände zittern, mir ist richtig kalt. Also erstmal ein paar Kilometer richtig Druck machen, um wieder warm zu werden. Jetzt hab ich es fast geschafft. Die restlichen 40 Kilometer müssen noch irgendwie gehen!

Doch das „kurze“ Stück bis Chemnitz ist nochmal richtig hart. Ständig geht es steil auf und ab. Außerdem nochmal 2 Baustellen mit Buckelpisten und Schotter. Aber alles besser als noch eine Umleitung zu fahren. Denn körperlich bin ich jetzt ziemlich am Ende.

Dann ein erster Lichtblick: Zum ersten Mal ist die markante Chemnitzer „Esse“ in Sicht. Gleich geschafft. In der Stadt muss ich nochmal nach einem Weg um eine verkorkste Straßensperrung suchen, hört das denn nie auf?

Aber egal, jetzt lasse ich mir das Ding nicht mehr nehmen, und wenn ich den Rest schieben muss!

 

Die letzten 10 Kilometer

Eine vertraute Strecke vorbei am Metropol-Kino, der Kaßberg-Auffahrt und dem Stadtbad. Vorbei an der alten Schule (oder besser gesagt dort, wo sie mal stand). Vorbei an meinem früheren Fitnessstudio aus Schulzeiten, dass scheinbar vor kurzem schließen musste. Vorbei am Webstuhlbau, den Stadtwerken und dem altbekannten Netto. Über die früher wie heute mit Schlaglöchern übersäte Straße nach Heinersdorf und die steile Rampe runter Richtung Draisdorf.

Und dann das letzte Stück zum Genießen, ganz im Wissen, dass es geschafft ist. Entlang der Chemnitztalstraße, vorbei am Ortseingang Wittgensdorf und der Sonnenland-Auffahrt. Ortseingangsschild Auerswalde. Rechts hoch, vorbei am Vorwerk und der alten Birke. 200 Meter Feldweg-Buckelpiste, links abbiegen und in den Hof rollen lassen.

Es ist kurz vor 20 Uhr, als ich meine Uhr stoppe. 320 Kilometer, knapp 12 Stunden reine Fahrtzeit und rund 3 Stunden (Zwangs)Pausen. Insgesamt 2600 Höhenmeter überwunden und etwa 7600 Kalorien verbrannt. Was für eine Bilanz. Und was für eine Erlösung, endlich vom Rad abzusteigen, den Rucksack runternehmen und die Schuhe ausziehen zu können.

 

Radtour Würzburg Auerswalde Ankunft
Endlich da! Alle haben schon gewartet.

 

Fast die ganze Familie ist da. Ich dusche erstmal Unmengen an Dreck und Schmiere ab, dann gibt es ein super Abendessen zum Speicher auffüllen. Dazu schauen wir das Deutschland-Spiel der laufenden Europameisterschaft mit packendem Elfmeterschießen. Das war zwar spannend, aber ich bin trotzdem fast eingeschlafen 🙂

 

Geht doch!

Endlich mal wieder die Komfortzone verlassen. Die letzten 100 Kilometer waren hart, vor allem wegen des miesen Wetters und der ewigen Hügel. Aber dafür war es ein unbeschreiblicher Moment, die letzten Meter nach Auerswalde zu fahren. Und zu wissen, dass es tatsächlich gleich geschafft ist. Ironisch auch, dass dort sogar nochmal die Sonne raus kam!

Wichtig war rückblickend, so früh wie möglich loszufahren. So hatte ich genug Zeitpuffer für eventuelle Pannen und Verzögerungen. Man kann nie wissen, was alles schief geht. Gut war auch, die schweren Sachen (Bananen!) so gut es ging in die Rahmentaschen am Rad zu packen und damit Gewicht am Rucksack zu sparen. Zwar schmerzten Arme, Schultern und Rücken auf der 2. Hälfte trotzdem, aber das lässt sich wohl auch ohne Rucksack kaum vermeiden.

Zurück nach Würzburg geht’s aber mit dem Zug. Man soll es ja nicht übertreiben!

Hier noch eine Liste meiner Streckenverpflegung:

● 10 Bananen

● 10 Obstriegel

● 500 g Erdbeeren

● 1 Apfelstrudel

● 15 Trockenpflaumen

● 1/4 Marmorkuchen

● 3 Brötchen

● 2,5 Liter Wasser

 

Updates

Weil es so schön war, bin ich die Tour auf etwas anderer (ca. 15 km kürzerer) Strecke im Mai 2018 nochmal gefahren. Auch wieder mit kräftiger Dusche, diesmal in einem Gewitter bei Hof.

 

Radtour Würzburg Auerswalde Strecke 2018
Verlauf meiner Radtour im Mai 2018. diesmal „nur“ 302 km auf einer etwas flacheren Route. Quelle: Strava

 

…und nochmal am 30. Juli 2018. Diesmal habe ich eine Panne in Bamberg, der Bowdenzug für die vordere Schaltung ist plötzlich gerissen. Zum Glück finde ich gleich ein Geschäft, wo es schnell repariert werden kann (Radladen Schneider). Später am Tag wird es sehr heiß. Ich trinke insgesamt etwa 12 Liter unterwegs und leide mehr als auf beiden vorherigen Versuchen. Vor allem auf den letzten 100 km wird die Tour eine ziemliche Quälerei mit immer häufigeren, kurzen Pausen. Eine Weile nach meiner Ankunft in Auerswalde verkrampft abends die Muskulatur im unteren Rücken so stark, dass ich zum ersten Mal das Gefühl habe, einen „Hexenschuss“ zu bekommen. Doch ich habe Glück und die Sache beruhigt sich in 2-3 Tagen wieder.

 

Radtour Würzburg Auerswalde Hitze 2018
Nahezu identische Strecke wie beim letzten Mal. Nur etwas langsamer wegen mehr Gepäck (Notebook dabei) und extremer Hitze.

4 thoughts on “Radtour nach Auerswalde”

  1. Wieder mal super geschrieben! 🙂 Eine echt sau coole Tour! Ich bin auch gerade am überlegen ob ich im September eine Tour von Köln über Wiesbaden nach Württemberg in die Heimat mache …320km :))

    1. Klar Benni, versuch es. Muss aber möglichst zwischen Mai und spätestens Anfang August sein, sonst ist es nicht lange genug hell falls es unterwegs länger dauert. Mit Licht geht zwar (hatte ich für den Notfall auch dabei), aber nicht gerade ideal…

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