Knockout beim Allgäu Ultra
Als ich aufwache, fühlt es sich an, als hätte ich tief geschlafen. Ich weiß nicht, wo ich bin, welcher Tag ist, oder was ich gemacht habe. Mein Puls ist hoch, der Kopf heiß, die Augen drücken.
Um mich herum sitzen zwei oder drei Männer und eine Frau. Ich kann sie nicht richtig erkennen, mein Blick ist unscharf. Sie sagen mir, ich soll mich beruhigen und liegen bleiben.
Doch es geht nicht. Ich habe eine innere Unruhe, bekomme Panik, will aufstehen. Atmung und Puls gehen weiter hoch. Wahrscheinlich schüttet mein Körper eine Menge Adrenalin aus.
Was mache ich hier, wer sind diese Leute? In meinem Kopf sind nur Fragezeichen. Und eine große Angst. Irgendetwas stimmt ganz und gar nicht. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Immer wieder kommt eine neue Panikwelle. So geht es vielleicht 5 Minuten, vielleicht länger, ich habe kein richtiges Zeitgefühl.
Plötzlich kommen neue Leute. Ich werde auf einer Trage gelegt und in einen Krankenwagen geladen. Dort gibt es Infusionen und Eispacks. Ein Notarzt sitzt neben mir. Er sagt, dass die Körpertemperatur das größte Problem ist. Sie liegt über 40 Grad.
Kurz darauf geht es mir schnell besser. Die Situation scheint unter Kontrolle, die Panik ist weg, die Temperatur fällt. Meine Gedanken sind auch wieder etwas klarer.
Ich verstehe jetzt erst, was die Sanitäter vorhin gesagt haben: Ich bin den Allgäu Panorama Ultra gelaufen, im Ziel umgekippt und war eine halbe Stunde bewusstlos.
Eigentlich nur ein Trainingsrennen
Dabei war der Lauf eigentlich als Trainingsrennen gedacht. Etwa eine Woche zuvor hatte ich mich kurzfristig angemeldet, um ein paar Höhenmeter zu machen und den Fuß zu „testen“. Denn ich habe seit rund 3 Monaten etwas Probleme mit der Tibialis-Posterior-Sehne. Beim Maintal-Ultra im Juli hielt es über 65 Kilometer aber erstaunlich gut.
Zusammen mit Carmen, die auch beim Ultra startet, geht es einen Tag vor dem Wettkampf nach Sonthofen. Ich übernachte in der Turnhalle. Logistisch ist das am einfachsten. Allerdings war das wohl der erste Fehler. Denn unter anderem wegen eines extremen Schnarchers kann ich nur 1-2 Stunden schlafen.
Im Rennen selbst läuft lange Zeit alles nach Plan. Ich renne locker los, nehme genug Energie über das selbst gemischte Maltodextrin-Fruktose-Gel auf, trinke an jeder Verpflegung und kühle Kopf, Arme und Beine. Anfangs laufe ich irgendwo um Platz 20 und peile ein Top-10-Finish an. Denn erfahrungsgemäß lassen sich gegen Ende oft noch einige Läufer einsammeln, die zu schnell los gerannt sind.
Plötzlich im Wettkampfmodus
Das ändert sich am finalen großen Anstieg nach Oberstdorf. Ich wusste durch Zurufe bereits, dass ich in den Top 10 bin. Seitdem habe ich drei weitere Läufer überholt. Also Tempo rauf, um zu schauen, ob noch andere auf den mehr als 1000 Höhenmetern bis zum Gipfel zurückfallen. Energetisch bin ich gut versorgt. Und mit Koffein-Gels kann ich noch etwas zulegen.
Der Plan geht auf. Ich kann zwei weitere Läufer überholen. Am letzten, steilsten Stück des Berges rufen Zuschauer, dass ich auf Platz 3 liege. Unglaublich! Bei einem so großen Rennen wie dem Allgäu Ultra das Podest zu erreichen schien unerreichbar. Das gilt es nun abzusichern bzw. zu verteidigen. Nach vorn besteht den Zuschauern zufolge ohnehin keine Chance.
Von nun an geht es nur noch bergab. Allerdings hat einer der überholten Läufer noch Reserven und bleibt in Sichtweite. An der letzten Verpflegung mache ich die Flasche mit Cola voll und trinke noch etwas. Allerdings vergesse ich, mich angemessen zu kühlen. Es muss ja möglichst schnell gehen. Dann laufe ich kurz einen falschen Weg und verliere eine Minute, sodass wir wieder gleichauf liegen.
Etwa 7 Kilometer vor dem Ziel ziehe ich das Tempo an. Jetzt ist wieder eine Lücke da. Ich spüre aber, dass die Beine weich werden und versuche, so kontrolliert wie möglich zu rennen. Und bloß nicht umdrehen. Das signalisiert dem hinteren Läufer immer Schwäche, falls er noch in Sichtweite ist.
Noch 5 Kilometer. Schon jetzt sehne ich das Ziel herbei. Das Laufen fühlt sich extrem anstrengend an. Jeder Kilometer scheint länger als der vorherige. Ich fühle mich langsam, komme gefühlt kaum voran. Es ist, wie gegen eine Wand zu laufen. Noch 4 Kilometer. Nur noch ein bisschen, gleich ist es geschafft. Noch drei. Noch zwei.
Von nun an verschwimmt meine Erinnerung auch eine Woche später noch. Und sie wird wohl nie zurückkommen. Das letzte, was ich sehe, sind die roten Pfeile auf dem Fußweg irgendwo in der Stadt. Gleich muss es links zum Ziel gehen. Doch immer wieder ein Geradeaus-Pfeil. Noch einer. Und noch einer. Ich bilde mir ein, als letztes tatsächlich einen Linkspfeil gesehen zu haben.
Den Rest hat mein Gehirn scheinbar nicht abgespeichert. Es dürfte noch ein Kilometer gewesen sein. Oft ist viel los auf der Zielgerade und beim Zieleinlauf, doch auch das habe ich nicht mehr wahrgenommen. Es war wohl der permanente Gedanke, den 3. Platz zu halten, der meinen Körper irgendwie noch über die Linie gebracht hat, bevor sich das Bewusstsein endgültig abschaltete.
Wenn der Körper nicht mehr schnell genug abkühlt, kann eine Kettenreaktion entstehen, die von einer Überlastung des Herzens bis hin zum Stillstand in Nieren und Leber reicht. [Quele: t3n]
So ging es weiter
Ich lande in der Notaufnahme des Krankenhauses in Immenstadt. Dort spüre ich die Medaille, die nach hinten um meinen Hals hängt. Auch der fast leere Laufrucksack ist noch da. Eine Schwester hilft mir, alles auszuziehen.
Etwa 2 Stunden lang bin ich ziemlich verzweifelt. Ich kann mein Telefon nicht bedienen. Auch die Nummer meiner Eltern, die ich fast mein ganzes Leben auswendig kannte, fällt mir nicht ein. Wie informiere ich meine Familie? Wie komme ich nach Hause? Alles ist völlig durcheinander. Meine Haut fühlt sich pelzig an. Um die Arme oder Beine zu bewegen, muss ich mich konzentrieren.
Ich habe keine Schmerzen, nur etwas Durst. Aber eine große Angst: Was, wenn ich wegen einer zu hohen Körpertemperatur einen dauerhaften Schaden davontrage? Oder wenn mein Gehirn zu wenig Sauerstoff bekommen hat, während ich bewusstlos war, und unzählige Nervenzellen abgestorben sind? Was, wenn sich meine Nieren nicht mehr richtig erholen?
Die deprimierende Gedankenschleife läuft permanent. Ohne einen klaren Kopf kann ich nicht arbeiten. Was wäre das für ein Leben? Nicht zu schweigen davon, was es für meine Familie bedeuten würde.
Am späten Nachmittag wird der Kopf langsam klarer. Ich kann mein Handy wieder bedienen und rufe Carmen an. Zum Glück kann sie meine Sachen in Sonthofen einpacken und mich am nächsten Tag mit nach Hause nehmen. Vielen Dank an dieser Stelle noch einmal!
Am frühen Abend werde ich auf Station verlegt. Mein Körper ist so aufgewühlt, dass ich nur mit einer Schlaftablette zur Ruhe komme. Doch nach 3 Stunden bin ich wieder wach. Eine weitere Tablette gibt es leider nicht, sodass ich kaum noch schlafen kann.
Am Morgen wird das Herz untersucht. Alles gut soweit. Die Blutwerte sind immer noch schlecht, aber das könnte an der reinen Laufbelastung liegen. Also werde ich wie erhofft entlassen.
Übrigens hat auch der Fuß nicht so gut gehalten wie erhofft. Das ist noch ein Grund, kürzer zu treten. Ich werde in den nächsten Wochen weiter darüber nachdenken, was passiert ist und dann schauen, welche Schlüsse und Konsequenzen daraus zu ziehen sind.
Ich möchte mich an dieser Stelle nochmal bei den Ersthelfern vor Ort bedanken! Mir ist erst im Nachgang bewusst geworden, dass die Geschichte ohne schnelle Hilfe auch ganz anders hätte ausgehen können…
Fazit
Zu wenig Schlaf, zu wenig Kühlung bei großer Hitze und Laufen am Limit nach langer Belastung sind eine „tödliche“ Kombination.
Hey Marko,
Das tut mir sehr leid.
Ich bin aber gleichzeitig sehr, sehr froh, dass du – so wie es mir nach Lesen deines Artikels erscheint – keinen dauerhaften Schaden davon getragen hast!!
Ich glaube, es gibt nur ein gutes, dass aus dieser gefährlichen Situation hervorgehen kann: Ab jetzt bist du so sicher bezüglich Überhitzung, wie noch nie, weil du jetzt das absolute Bewusstsein dafür hast. Und – da du ein intelligenter Mensch bist – das Nötige daraus lernen wirst, um ab jetzt sicherer unterwegs zu sein als sie zuvor!
Ich wünsch dir und deiner Familie das Allerbeste.
Liebe Grüße, Marcel
Danke Marcel. Ja einige Learnings diesmal… Ein zweites Mal will ich das nicht erleben. Dir auch alles Gute und bis irgendwann mal wieder in Berlin!