Die Grenze der menschlichen Ausdauerleistung
Viele Ultraläufer wissen, dass so manches ganz lange Rennen vom Magen entschieden wird. Ich habe selbst schon die Erfahrung gemacht, dass auf dem Papier eigentlich stärkere Läufer in einem Wettkampf wegen Magenproblemen völlig eingebrochen sind und am Ende hinter mir ins Ziel kamen – oder sogar ganz aufgeben mussten.
Die Ursache dafür liegt auf der Hand: In Wettkämpfen, die viele Stunden dauern, ist ein erheblicher Verlust von Flüssigkeit und Kalorien nicht mehr durch entsprechende Reserven im Körper zu kompensieren, da diese durch die Belastung bereits weitgehend aufgebraucht sind. Spitzenleistungen sind dann physiologisch nicht mehr möglich.
Was diese Erfahrung mit der Grenze der menschlichen Leistungsfähigkeit zu tun hat, wurde mir aber erst später anhand einer Studie bewusst. Daraus geht hervor, dass die maximale menschliche Ausdauerleistung, die sich praktisch unbegrenzt lange aufrecht erhalten lässt, nur beim 2,5-Fachen des täglichen Grundumsatzes liegt. [1]
Zunächst ist das kaum glauben, denn dieser Wert liegt erstaunlich niedrig. Wenn ich mir den von der Sportuhr geschätzten Kalorienverbrauch beim 24-Stunden-Lauf in Bottrop anschaue, habe ich dort rund 20.000 Kalorien umgesetzt. Mein anhand eines einfachen Kalorienrechners geschätzter Grundumsatz liegt bei etwa 1725 Kalorien. Das heißt, dass ich in den 24 Stunden das 11,6-Fache meines Grundumsatzes verbraucht habe. Das liegt direkt am Maximum des möglichen Energieumsatzes, wie folgende Grafik aus der Studie zeigt.
Es ist gut zu erkennen, dass der maximal mögliche Energieumsatz – wie zu erwarten – mit der Dauer der Aktivität abnimmt. Das ist ähnlich dazu, wie Geschwindigkeit und Distanz auf kurzen Strecken zusammenhängen. So liegt das Maximum bei einem 10-Tage-Lauf etwa beim 6,5-Fachen des Grundumsatzes. Interessant ist aber, wie weit dieser Wert bei noch längeren Ausdauerleistungen fällt: Bei 100 Tagen nähert er sich dem 2,5-Fachen Grundumsatz an. Würde ich also (theoretisch) 100 Tage laufen wollen, würde mein maximaler Energieumsatz nur noch rund 1725 x 2,5 = 4300 Kalorien betragen.
Die in der Studie verwendeten Daten zu Langfrist-Ausdauerleistungen stammen aus allen möglichen Extremsportarten: Ironman-Rennen, Tour de France, Arktisexpeditionen und 140-Tage-Lauf durch die USA. Dabei zeigt sich: Je länger eine Ausdauerleistung anhält, desto weniger kommt es wie bei kurzen Distanzen auf die Maximalleistungen von Herz, Lunge und Kapillarsystem an.
Die Autoren der Studie haben eine plausible Begründung dafür, weshalb das langfristige Maximum des Energieumsatzes so niedrig liegt: Unser Verdauungssystem kann einfach nicht mehr Energie aufnehmen. Es gibt eine Obergrenze dafür, wie viel Nahrung wir wirksam verdauen können.
Im Mittel liegt die maximale Energieaufnahme etwa beim 2,5-Fachen Grundumsatz. Alles, was darüber hinausgeht, zehrt an unseren Reserven und stellt ein energetisches Defizit dar. Deshalb lassen sich Aktivitäten mit wesentlich höherem Energieumsatz nur deutlich kürzer durchhalten. Interessant ist dabei, dass eine Schwangerschaft mit dem geschätzt 2-Fachen des Grundumsatzes nicht weit davon entfernt liegt: Das heißt, dass auch Dinge wie das Wachstum eines Embryos dadurch beeinflusst und möglicherweise limitiert werden.
Ein interessanter Aspekt der Studie ist zudem die Beobachtung, dass bei sehr langen Läufen der Energieumsatz relativ zur absolvierten Distanz etwas abnimmt. Das könnte daran liegen, dass der Körper in eine Art Energiesparmodus umschaltet. Zudem werden jegliche andere Aktivitäten neben dem reinen Laufen zunehmend eingestellt. Dadurch wird etwas Energie gespart, sodass die Leistung noch etwas länger aufrecht erhalten werden kann. Zudem nimmt auch das Körpergewicht meist etwas ab, was den Energieumsatz ebenfalls etwas verringert.
Fazit
Die Studie bestätigt auf anschauliche Weise, was erfahrene Läufer schon lange wissen: Ohne Mampf kein Dampf.
Bei extrem langen Ausdauerwettkämpfen kommt es neben dem Vermeiden von Verletzungen und einer stets ausreichenden Flüssigkeitszufuhr auch darauf an, in energieeffizientem Tempo zu laufen und alle unnötigen Nebenaktivitäten zu minimieren.
Natürlich ist weiterhin die mentale Stärke beim Ultrarunning absolut entscheidend. Aber eben nur, solange auch die Energieversorgung sichergestellt ist. Denn wenn der Tank wirklich leer ist, kann auch der Kopf nichts mehr ausrichten.
Quelle: Thurber et al (2019), Extreme Events Reveal An Alimentary Limit On Sustained Maximal Human Energy Expenditure, Science Advances, Vol. 5, Nr. 6