Wir sind alle „Maschinen“
Immer wieder ist auf Strava unter besonders schnellen und langen Sporteinheiten der Kommentar zu lesen, dass der jeweilige Sportler eine „Maschine“ sei. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die entsprechende Leistung weit überdurchschnittlich ist und für andere kaum erreichbar scheint.
Bei diesem Thema muss ich immer an das Prinzip von Ray Dalio denken, dass „alles“ eine Maschine ist. Diese Idee stammt als zentrales Erfolgsprinzip aus seinem Buch „Principles“ und ist auch in seiner YouTube-Videoserie „Principles for Success“ anschaulich beschrieben. Demnach funktioniert alles nach festgelegten Regeln, vom Universum über unsere Wirtschaft und Märkte bis hin zu uns selbst.
Unser Körper ist eine komplexe Maschine
Jeder einzelne von uns ist eine hochkomplexe Maschine, die aus vielen Einzelteilen besteht. Und jedes dieser Einzelteile wie Arme, Beine und innere Organe sind wiederum aus noch kleineren Maschinen, nämlich den einzelnen Zellen unseres Körpers zusammengesetzt, die zum Teil sehr unterschiedliche Funktionen haben.
Wie bei technischen Maschinen wiederholen sich die vielen Prozesse, die permanent und unbewusst in uns ablaufen, täglich immer wieder auf die gleiche Art und Weise. Die enorme Komplexität und das ausgeklügelte Zusammenspiel dieser unzähligen biochemischen Prozesse ist es, was unser Leben am Laufen hält.
Die allermeisten dieser Abläufe sind unentbehrlich und müssen fortlaufend zuverlässig funktionieren. Man könnte vermuten, dass dieses Zusammenspiel so empfindlich gegenüber Veränderungen ist, dass die kleinste Störung zum totalen Zusammenbruch führt.
Aber genau das unterscheidet uns von technisch komplexen Maschinen, die schon bei kleinen Fehlern komplett außer Betrieb gehen können: Die biochemischen Prozesse in unserem Körper haben sich dank ihrer Evolution über Millionen Jahre so stabil eingependelt, dass sie größtenteils auf gewisse Gleichgewichtssituationen hinauslaufen.
Eine Meisterleistung der Natur
Ich habe für diesen Artikel mal genau nachgeschaut: Seit Beginn meiner Aufzeichnungen im Jahr 2011 bin ich 24.560 Kilometer gelaufen. Dazu kommen noch rund 1500 Kilometer Schwimmen und 40.000 Kilometer Radfahren. Jede Maschine, selbst wenn sie diese Sportarten überhaupt koordinieren könnte, wäre selbst bei maximaler Bewegungseffizienz nach solchen Distanzen längst Schrott.
Das gilt vor allem, wenn wir eine technische Maschine nicht unter Laborbedingungen ganz gleichmäßig auf einem Laufband joggen lassen, sondern Umwelteinflüsse wie Regen, Schnee, Hitze, Kälte und Wind einkalkulieren und den einen oder anderen Sturz und kleinere Beschädigungen, was sich im Lauf der Jahre ebenfalls nicht vermeiden lässt.
Unser Körper dagegen, wenn er grundsätzlich fit und gesund ist, kann das wegstecken, indem er sich fortlaufend selbst repariert – davon können die technischen Maschinen nur träumen. Und damit nicht genug: Unser Körper kann seine Strukturen im Lauf der Zeit sogar noch verbessern und sich so an die entsprechende Belastung anpassen! Die besten Sportler, also die eingangs genannten „Maschinen“, haben diesen Prozess über Jahre perfektioniert und auf diese Weise für andere kaum vorstellbare Niveaus an Bewegungsökonomie und Energieeffizienz erreicht.
Unser Körper ist eine Meisterleistung der Natur, über die wir nur staunen können, wenn wir es im Alltag nicht als selbstverständlich abtun.
Use it or Lose it
Allerdings hat dieser Prozess auch eine Gegenseite: Unsere „Maschinen-Körper“ sind dafür ausgelegt, sich zu bewegen, nach Nahrung zu suchen und sich neuen Reizen anzupassen. Wenn wir dieser evolutorischen „Bedienungsanleitung“ nicht folgen und uns stattdessen auf dem Sofa mit Fast Food vollstopfen, fängt selbst die am besten geölte Maschine irgendwann an, zu rosten.
Immer mehr Müll aus schlechter Nahrung und den daraus entstehenden Stoffwechselprodukten sammelt sich in uns an. Die „Müllabfuhr“, die im Körper durch das Verstoffwechseln von Abfallprodukten sowohl bei sportlicher Betätigung als auch in vorübergehenden Hungerperioden aktiv wird, kommt viel zu selten zum Einsatz. Die resultierenden Müllkippen führen über kurz oder lang zunächst zu Entzündungsprozessen und später zu Krankheiten.
Um unseren Körper als effiziente Maschine zu erhalten (und zu optimieren), kommt es also darauf an, von Vornherein möglichst wenig Müll hineinzustecken (saubere Ernährung), regelmäßig die Müllabfuhr zu entsenden (Ausdauersport und Nüchterntage), die Strukturen durch variable Reize zu optimieren (gezieltes Training) und die Einzelteile regelmäßig zu warten (Regeneration).
Das Zusammenspiel dieser Faktoren entspricht der richtigen Bedienungsanleitung für unsere Körper in der Form, wie sie sich evolutorisch entwickelt haben. Es schafft die Bedingungen, unter denen wir am besten funktionieren – und zwar nicht nur rein körperlich, sondern auch vom „Betriebssystem“ her, denn unsere geistigen Fähigkeiten sind ebenfalls eng mit unserem körperlichen Wohlbefinden verbunden. Nicht umsonst sagt man, dass ein gesunder Geist auf Dauer nur in einem gesunden Körper wohnen kann.
Die geistige Maschine
Viele körperliche und geistige Probleme sind zu richtigen Zivilisationskrankheiten geworden. Ich weiß nicht, ob ich mich damit als Nicht-Mediziner etwas zu weit aus dem Fenster lehne, aber ich würde behaupten, dass man locker die Hälfte aller Krankheiten (und die Hälfte aller Kosten im Gesundheitssystem) vermeiden könnte, wenn wir uns wenigstens die meiste Zeit im Einklang mit unserer Bedienungsanleitung verhalten würden.
Vielleicht würde es sogar schon reichen, sich ab und zu überhaupt etwas zu bewegen und zumindest fünf Tage in der Woche gesund zu essen, um viele körperliche Leiden zu vermeiden. Dazu noch ausreichend Schlaf, weniger Stress im Alltag und mehr gegenseitige Empathie und viele psychische Leiden könnten verschwinden. Ganz zu Schweigen vom gegenseitigen positiven Einfluss, wenn sowohl die körperliche als auch die geistige Maschine läuft.
So wie unsere Körper aus dem bestehen, was wir essen, besteht unser Geist aus dem, was wir denken. Doch während unser Körper in der modernen Welt permanent unterfordert ist, läuft unser Gehirn pausenlos auf Hochtouren mit viel zu kurzen Erholungspausen. So wie wir uns beim Extremsport eine Verletzung einfangen können, kann auch unser Gehirn unter Extrembelastung zunehmend (dauerhafte) Fehlfunktionen aufweisen.
Während sich Laufverletzungen oft auskurieren lassen, da der Körper dies aus der Evolution ganz gut „kennt“, ist das Gehirn keineswegs für permanenten Stress in einer digitalen, vernetzten Welt geschaffen. Dafür ist die Entwicklung der modernen Welt einfach viel zu schnell (oder die Evolution viel zu langsam, je nachdem). Da nutzt es auch nichts, dass unser Gehirn als komplexeste bekannte Struktur im Universum ein noch größeres Meisterwerk als unser restlicher Körper ist – wenn es seinen Dienst versagt, sind wir aufgeschmissen!
„Maschinen“ aus Fleisch und Blut
Einen letzten, wichtigen Punkt möchte ich zum Thema „Maschine“ aber auch noch ansprechen: Ich meine damit auf gar keinen Fall, dass wir emotionslos sein sollten – ganz im Gegenteil!
Wir sind Menschen aus Fleisch und Blut, was uns körperlich, aber auch psychisch verwundbar macht. Die Welt kann deprimierend sein, wenn man sieht, wie wenig ein einzelner Mensch wertgeschätzt wird. Andererseits ist es befreiend zu wissen, dass wir mit keinem unserer Probleme jemals allein sind – mit nur extrem wenigen Ausnahmen haben schon unzählige Menschen vor uns das gleiche erlebt oder durchleben es gerade.
Denn auch unser Gehirn, unser Denken und unsere subjektive Wahrnehmung funktionieren nach festen, angeborenen oder erlernten und oft unbewussten Prozessen. Als Menschen verfügen wir über eine Lebenswahrnehmung, die vielleicht kein anderes Wesen im ganzen Universum bisher erreicht hat. Wir sind in der Lage, aus eigenen und fremden Fehlern zu lernen, für die Zukunft zu planen und uns eine eigene Realität zu erschaffen.
Und das macht jeden von uns trotz nahezu identischer Bauanleitung zu etwas ganz besonderem, etwas individuell einzigartigem. Jeder von uns ist sozusagen „die einzige Maschine seiner Art“. Wir sollten uns deshalb vor allem selbst schätzen und Wert darauf legen, dass unsere „Maschine“ noch lange am Laufen bleibt.
„When You Arise in The Morning, Think of What A Precious Privilege It is to Be Alive – to Breathe, to Think, to Enjoy, to Love.“ (Marcus Aurelius)
Fazit
Jeder von uns ist eine hochkomplexe Maschine, die enorme körperliche und geistige Leistungen vollbringen kann. Der größte Trumpf gegenüber technischen Maschinen ist dabei, dass wir uns automatisch selbst reparieren, im Lauf der Zeit an besondere Umwelteinflüsse anpassen und unsere eigene Realität erschaffen können.
Super Beitrag und sehr schön geschrieben.
Wenn ich im Wettkampf auf den letzten Kilometern an dem Punkt angelangt bin, wo nur noch alles schmerzt wünsche ich mir immer, dass der Maschinenmodus mich noch bis ins Ziel trägt. Dann ist es die Kunst sich von seinem Körper zu „entkoppeln“ und darauf zu vertrauen, dass die Maschine bis zum Ende rund läuft und gut versorgt wird.
Happy Running!
Beste Grüße
Stefan
Danke Stefan! Ja im Wettkampf ist es manchmal schon verrückt, was der Körper leisten kann, indem letztlich „nur“ biochemische Prozesse in unzähligen Zellen ablaufen. Es ist eigentlich schon erstaunlich, dass das überhaupt funktioniert, und dann noch unter extremen Bedingungen.